Das Collegium Academicum im Carolinum in der Seminarstraße:
Von der Gründung im Jahr 1945 bis zur Räumung 1978 – der Versuch, einige Aspekte der vielseitigen und komplexen Geschichte des CA darzustellen.
Gegründet wurde das Collegium Academicum 1945 durch den damaligen Rektor Bauer. Der erste Leiter des CA wurde Dr. Joachim Boeckh, welcher auch die ersten „Leitsätze für das zu errichtende Collegium Academicum“ verfasste. Hintergrund stellte die Forderung der amerikanischen Besatzungsmacht dar, den universitären Betrieb zeitnah nach dem Kriegsende wieder aufzunehmen. Im Zuge des Re-Education-Programms sollte eine demokratische Elite ausgebildet werden. Da jedoch viele Häuser durch den Krieg zerstört waren und für viele potentielle Studierende kein Wohnraum vorhanden war, forderte Rektor Bauer die amerikanischen Besatzer auf, ihm ein geeignetes Gebäude zur Verfügung zu stellen. Dieses Gebäude sollte das um 1750 von Kurfürst Carl Philipp als katholische Bildungseinrichtung erbaute Carolinum in der heutigen Seminarstaße 2 werden, wo die Mitglieder des CA (des damaligen Vereins) schließlich bis März 1978 wohnten. Diese Möglichkeit eines Studentenwohnheims war jedoch von amerikanischer Seite aus an Bedingungen geknüpft. So wurde im Einvernehmen beider Parteien ein sogenanntes „Kollegienhaus“ nach amerikanischem Vorbild eingerichtet.
Das COLLEGIUM ACADEMICUM ist von Rektor und Senat der Universität als studentische Lebens-, Arbeits- und Selbsterziehungsgemeinschaft gegründet worden … Dieser Zielsetzung entsprechend bestehen für die in die Gemeinschaft aufgenommenen Studenten Bindungen, die über die einer einfachen Wohngemeinschaft hinausgehen. Rektor Bauer in der Vorläufigen Ordnung des CA vom 12. Januar 1946
Im Juni 1947 wurde vom Präsidenten des Landesbezirks Baden eine Oberstudienratsstelle im CA genehmigt.
Die studentische Vertretung bestand aus einem zwölfköpfigen Gremium, das sich aus gewählten Vertretern der im CA vertretenen Fakultäten, dem Senior und dem Präfekten zusammensetzte. Der Zehnerrat stellte ein Beratungsgremium aus älteren, bewährten Kollegiaten, ehemaligen Senioren und Konventsvorständen dar. Ein für die Selbstverwaltung essentiell wichtiges Element stellte die Aufnahmekommission dar, die die Bewerber sichtete und nach dem ersten Mitgliedssemester über die endgültige Aufnahme entschied. Sie setzte sich aus dem Senior, dem Präfekten und einem Mitglied der studentischen Vertretung zusammen.
Die offenen Abende glichen den offiziellen Abendveranstaltungen, jedoch waren sie freiwillig und fanden oft in kleinerem Kreise statt. Hierbei war Eigeninitiative gefragt, da diese Abende komplett von den Kollegiaten selbst bestritten wurden. Im Rahmen des politischen Wochenberichtes trugen Kollegiaten in Diskussionsgruppen einen Überblick über die in der Presse diskutierten Ereignisse der Woche vor. Das Lernziel für diese Gruppen lautete: „Schärfung des Blicks für politische Zusammenhänge, Sachlichkeit und Sicherheit in der Diskussion“. Die Arbeitsgemeinschaften beschäftigten sich sowohl mit fachspezifischen Spezialgebieten als auch fakultätsübergreifenden Themen. Sie wurden von einem älteren Kollegiaten angeleitet.
Die Kooperation zwischen Universität und Bewohner*innen funktionierte gut, bis in den Beginn der 70er Jahre. Das Ziel der Reeducation war gerade für die Nachkriegsgesellschaft bedeutend, mit der Zeit änderten sich jedoch die Schwerpunkte. Es gab immer weniger ehemalige Soldaten, immer weniger Studierende hatten die NS-Zeit aktiv und bewusst erlebt, und so sahen die Mitglieder des CA dieses immer mehr als einen Ort für gesellschaftskritisches Nachdenken und ein Aktiv-Sein an. In den späten 50er Jahren pflegten die Mitglieder des CA bis zum Mauerbau 1961 regen Kontakt zu Studierenden in der DDR, als der „eiserne Vorhang“ errichtet war, verlagerten sich diese Studierendenaustausche nach Polen und in die damalige Tschechoslowakei.
Ab 1970 mehrten sich kritische Stimmen: „Der frühere Anspruch der Kollegiaten an sich selbst war verkümmert zu einer privaten interesselosen Gemeinschaftsduselei, die jeden wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Auftrag verächtlich zurückwies,“ (Stefan Summerer; 1970). Die Senatskommission vermerkt hierzu: „Die Auflösung bedeutet das Eingeständnis des Scheiterns eines Projektes, das einst von Hoffnungen getragen war.“ (Bericht der Senatskommission; 12. Februar 1975). Dieser Sichtweise wurde von den Studierenden heftig widersprochen. Diese sahen vielmehr eine politisch motivierte Absicht, denn die Universitätsverwaltung brauchte dringend ein zusätzliches Gebäude. Begründet wurde die Auflösung indes damit, dass das CA ein Brutherd staatsfeindlicher Gruppen sei. Anders als vom damaligen Rektorat und der Landesregierung suggeriert, waren im CA jedoch undogmatische sowie unorganisierte Studierende tonangebend (FAZ Nr. 152). Das CA war ein lebendiger Ort studentischer Kultur, der vor allem von den Spontis dominiert wurde.
Unbeeindruckt davon beschloss der Senat der Universität Heidelberg am 18.2.1975, mit Beginn der Renovierungsarbeiten im Gebäude Seminarstr. 2, die Institution _Collegium Academicum_ aufzulösen. Dennoch fiel die Abstimmung zur Auflösung des CA im Senat denkbar knapp aus. Im Oktober 1976 wurde die Umwidmung des Gebäudes zur neuen zentralisierten Universitätsverwaltung beschlossen. Nach Entscheidungen der Verwaltungsgerichte 1978 wurden diese Beschlüsse rechtskräftig. Am 6. März 1978 wurde das Collegium Academicum schließlich mit einer groß angelegten Räumungsaktion gezwungen, zu schließen. Im Morgengrauen stürmten über 1500 Polizisten eines Sondereinsatzkommandos das Haus und räumten die darin friedlich ausharrenden Studierenden und Sympathisierenden. Im Zuge des Polizeieinsatzes wurden alle Möbel zerstört, um eine Rückkehr zu erschweren.
Trotzdem beschloss die Mitgliederversammlung des nach der Räumung gegründeten Vereins 1979 das Weiterbestehen der Ehemaligenvereinigung, auch ohne die universitäre Institution und das Gebäude. Bereits 1980 verabschiedete sie ein Konzept zur Neugestaltung des CA. Im Jahr 1985 mieteten Mitglieder zwei Geschosse des Hauses in der Plöck 93, wo sieben und seit 2001 auf drei Geschossen, elf Studierende wohnen. An die Aktivität und Präsenz früherer Zeiten kann das CA in dieser Form natürlich nicht mehr anknüpfen, doch bleibt die Idee des alten CA als Funke in den Köpfen derer erhalten, die die Möglichkeit bekommen, im neuen CA zu wohnen, zu leben und es aktiv mitzugestalten.
Es war für mich kein Studentenhaus, sondern eine Gemeinde aus der Zukunft. Dort nahm ich gerne viele Aufgaben wahr und stieß auf Sympathie bei deren Ausführung. Dort lernte ich Freundinnen und Freunde kennen, mit denen ich bis heute befreundet bin. Dort wurde die Idee zu einem Welt-Laden geboren und bald nahm sie Gestalt in der Ingrimstraße an. Und heute, nach ca. 40 Jahren, denke ich, wenn ich an Heidelberg denke, immer an meine Zeit im CA. Rafik Schami, Schriftsteller